IPA Webinars Covid-19 Series

Ein neues Unbehagen in der Kultur? Der Einzelne und die Gesellschaft in Zeiten von Covid-19
30. August 2020, 16:00-17:30hs (UK)




This webinar will be in German




Die gegenwärtige Covid19-Pandemie und die durch sie bedingten gesellschaftlichen Schutzmaßnahmen haben im Laufe der letzten Monate sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufenen. Sie reichen von Ängsten vor der Infektion über Dankbarkeit für den kollektiv angestrebten Schutz bis hin zu Äußerungen von Wut und Protest gegen die als Entzug der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung erlebten Maßnahmen. Der Umgang mit der Pandemie aktualisiert ein Dilemma, welches Freud in seiner Arbeit über das Unbehagen in der Kultur als allgemeingültigen Widerspruch plastisch beschrieben hat: die Kultur erlegt dem Einzelnen zum Schutz gegen die Gefahren der Natur und zum Zweck der Regelung der zwischenmenschlichen Beziehungen sexuelle und aggressive Triebverzichte auf, welche auch zu einem Gefühl des Unbehagens in der Kultur führen: „Der Kulturmensch hat für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sicherheit eingetauscht“ (GW XIV S.474). Das sexuelle und aggressive Lust suchende Subjekt gerät in einen Widerspruch zur Kultur, und ob aus diesem Widerspruch eher eine Verinnerlichung in Form eines benignen Über-Ichs oder nicht doch die Entfesselung destruktiver Kräfte folgt, bleibt für Freud offen. 

In unserem Seminar erörtern wir die Frage: können wir angesichts der Covid19-Pandemie von einem neuen Unbehagen in unserer Kultur sprechen? Erstmals seit Jahrzehnten sehen sich die meisten Menschen zum Schutz vor möglicher Infektion zu Triebverzichten veranlasst, gegen die andere mit zum Teil lautstarken, gar gewalttätigen Triebausbrüche ihre Autonomie zu behaupten versuchen. Der Umgang mit den Einschränkungen ist schmerzlich. Was können wir als Psychoanalytiker zum Verständnis dieser aktuellen gesellschaftlichen Situation beitragen, z.B. hinsichtlich Solidarität oder Vereinzelung und Ausgrenzung? Welche klinischen Erfahrungen machen wir in unseren Behandlungen mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen? Wie können wir bei der Bewältigung von Ängsten und Trauer, aber auch von Frustration und politisch radikaler Wut hilfreich sein? Es lässt sich aber auch fragen: inwieweit kann eine (psychoanalytische) Erzählung über Triebverzicht allein die komplizierten psychodynamischen Aspekte dieser "Corona-Krise" erklären? Hinsichtlich aller Fragen streben wir einen Ideenaustausch mit den Teilnehmern an.   

Moderator: Heribert Blass
Panellists: Iliana Giorgi, Joachim Küchenhoff, Marianne Leuzinger-Bohleber





Heribert Blass
, Dr. med., Psychoanalytiker für Erwachsene, Kinder und Jugendliche, Lehranalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Er ist auch Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und arbeitet in eigener Praxis in Düsseldorf, Deutschland. Er war Leiter des zentralen Ausbildungsausschusses der DPV von 2010-2016, dann Vize-Präsident der Europäischen Psychoanalytischen Föderation (EPF) von 2016-2020. Seit 2020 ist er Präsident der EPF. Er hat mehrere Artikel veröffentlicht, hauptsächlich zur männlichen Identität und Sexualität, zur Position des Vaters sowie zur Supervision, insbesondere in der psychoanalytischen Ausbildung.

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Liana Giorgi (Ph.D.)
Psychoanalytikerin (WPV), Sozial- und Politikwissenschaftlerin. Ursprünglich aus Zypern, Absolventin von MIT (USA) und Universität Cambridge (UK). Mehrere Publikationen im Bereich Europäische Studien und Politikanalyse.

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Joachim Küchenhoff, Prof. Dr. med.,
ist Psychoanalytiker (DPV, SGPsa, IPA), Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Professor em. der Universität Basel, Vorsitzender des Aufsichtsrates und Gastprofessor der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin. Er ist Chefredakteur des Schweizer Archivs für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Mitglied vieler wissenschaftlicher Beiräte. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen (www.praxis-kuechenhoff.ch).

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Marianne Leuzinger-Bohleber, Dr. phil.,
Lehranalytikerin (DPV/IPA), em. Professorin für Psychoanalyse an der Universität Kassel; Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts (SFI) in Frankfurt am Main 2001-2016, nun Senor Scientist an der Universität Mainz; Member des Scientific Boards des IDeA Centers der LOEWE Landesoffensive zur Entwicklung wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz; Co Chair for Europe des Research Boards des Research Boards der International Psychoanalytical Association (IPA) and bis 2019 Chair des Subcommittees for Migration und Refugees des IPA. Sie erhielt den Mary Sigourney Award 2016 und den Haskell Norman Prize for Excellence in Psychoanalysis 2017. Arbeitsgebiete: klinische und empirische Forschung in der Psychoanalyse, Adoleszenz, psychoanalytische Entwicklungspsychologie, Frühprävention, Psychoanalyse und Cognitive Science /Literaturwissenschaften/Wissenschaftstheorie

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